Hintergrund
Eine der Vorgaben der UNESCO für die Anerkennung von Biosphärenreservaten ist die Einrichtung einer Kernzone, die mind. 3% der Gesamtfläche umfassen soll. Nach dem Motto „Natur Natur sein lassen“ soll sich hier die Natur möglichst unbeeinflusst durch den Menschen entwickeln können. Im Biosphärengebiet Schwäbische Alb wurden 33 Kernzonen mit insg. rund 2.645 Hektar Fläche ausgewiesen, die 3,1% der Gesamtfläche des Gebiets umfassen. Es handelt sich fast ausschließlich um Waldbereiche, in denen sich in den nächsten Jahrzehnten die „Urwälder von morgen“ entwickeln werden. Die forstliche Nutzung wurde mit Ausnahme von Verkehrssicherungsmaßnahmen entlang der freigegebenen Wege sowie von Waldschutzmaßnahmen eingestellt. Die jagdliche Nutzung wurde ebenfalls deutlich eingeschränkt, jedoch in Abstimmung mit dem deutschen Komitee der UNESCO nicht vollständig eingestellt. Grund hierfür ist, dass hohe Schalenwilddichten der wiederkäuenden Wildarten (im Biosphärengebiet ist nur das Reh relevant) aufgrund einer Einstellung der Jagd zu mehr Verbiss führen könnten, wodurch verschiedene Baum und andere Pflanzenarten unterschiedlich stark beeinträchtigt würden. Je nach Schalenwilddichte und Größe der Kernzonen sowie der Intensität der Bejagung wären Veränderungen der charakteristischen Waldgesellschaften zu erwarten. Gerade die Hang- und Schluchtwälder werden jedoch von der UNESCO als das zentrale Alleinstellungsmerkmal des Biosphärengebiets aus bundesweiter Sicht gesehen. Eine Bejagung ist auch deshalb erforderlich, da Großraubtiere wie Wolf oder Luchs, die in einem vom Menschen unbeeinflussten Ökosystem neben anderen Faktoren eine Schalenwildpopulationen regulieren würden, bei uns fehlen.
Die Einschränkung bzw. Einstellung der Jagd in Schutzgebieten führt aber auch zu der Fragestellung, ob dadurch ein Rückzugsgebiet für Schwarzwild entsteht und somit eine räumliche Konzentration dieser Tierart auftritt, in deren Folge es zu vermehrten Wildschäden auf forst- und landwirtschaftlichen Nutzflächen kommen könnte. Zu dieser Thematik gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, die zudem nicht oder nur eingeschränkt auf andere Gebiete übertragen werden können.
Die Wildschadensersatzpflicht für Schwarzwildschäden an landwirtschaftlichen Kulturen muss weiterhin uneingeschränkt von den Jagdgenossen getragen werden. Die Schadensersatzpflicht wird in der Regel von den Jagdgenossen bei verpachteten Jagdrevieren auf die Jagdpächter übertragen. Diese befürchten nun, dass sie kaum mehr Möglichkeiten hätten, die Schäden zu unterbinden, da sich die Wildschweine durch Rückzug in die Kernzonen einer effektiven Bestandsregulierung entziehen könnten. Die Bewirtschafter landwirtschaftlicher Nutzflächen befürchten eine Zunahme der Schäden an Kulturen im Umfeld von Kernzonen und damit verbunden Schwierigkeiten bei der Verpachtung von Jagdrevieren, die an die Schutzgebiete angrenzen.
Das Schwarzwildprojekt im Biosphärengebiet
Das Schwarzwildprojekt hat zum Ziel, am Beispiel ausgewählter Kernzonen, die Auswirkung der jagdlichen Einschränkung auf die Raumnutzung des Wildschweins (Sus scrofa) und damit verbundener Schäden in der Landwirtschaft zu untersuchen. Dies dient auch der Evaluierung der jagdlichen Regelung für die Kernzone des Biosphärengebiets gemäß der Allgemeinverfügung vom 20.05.2010. Diese wurde befristet erlassen, sodass eine Anpassung auf Grundlage der Projektergebnisse möglich ist.
Das Projekt wurde von der Wildforschungsstelle Aulendorf (WFS) in Kooperation mit dem Institut für Wildtierökologie und Wildtiermanagement der Universität Freiburg, WILCON-Wildlife Consulting, dem Bundesforst, der Geschäftsstelle des Biosphärengebiets und mit Unterstützung durch das Kreisforstamt Reutlingen durchgeführt. Auftraggeber war das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR). Das mehrjährige Projekt war Teil einer größeren Untersuchung der Wildforschungsstelle zur Schwarzwildproblematik im Umfeld von Schutzgebieten, in der auch die jagdliche Ruhezone im Naturschutzgebiet Wurzacher Ried untersucht wurde.
Das Schwarzwildprojekt im Biosphärengebiet umfasste einen wildbiologisch-wissenschaftlichen und einen angewandten Projektteil, der das konkrete Management betraf.
Wildbiologisch-wissenschaftlicher Projektteil
Ziel des Projektteils war es, ein sehr genaues Bild der Raumnutzung und der tageszeitlichen Aktivität des Schwarzwilds im Umfeld der untersuchten Kernzone zu erhalten. Hierzu wurden Wildschweine mit einem Halsbandsender markiert. Der Einsatz dieser Technik erlaubt eine „lückenlose“ Überwachung der markierten Tiere. Tagsüber wird jede Stunde und nachts jede halbe Stunde per GPS-Technik eine Lokalisierung des Aufenthaltsortes durchgeführt. Die Übermittlung verläuft dank der innovativen Technik vollautomatisch, indem das Senderhalsband die Koordinaten per SMS an den Rechner der Wildforschungsstelle sendet. Im Unterschied zu herkömmlichen Methoden der Telemetrie, bei der die besenderten Tiere von Hand mit Antennen angepeilt werden, tritt nach dem Fang und der Markierung keine Beeinflussung durch die Verfolgung und Ortung der Tiere auf. Überzeugend ist auch die Genauigkeit der Ortungen der im Projekt verwendeten GPS-GSM Satelliten-Telemetrie, die wesentlich höher ist als bei der klassischen terrestrischen Radiotelemetrie. Mit der verwendeten Technologie ergibt sich somit ein sehr genaues Bild der Raumnutzung und tageszeitlichen Aktivität, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob die Tiere bevorzugt die Kernzone als Ruheplatz aufsuchen, ob sie hier auch zur Nahrungsaufnahme verweilen oder in wie weit sie hierfür landwirtschaftliche Flächen im nahen Umfeld der Kernzone aufsuchen.
Moderiertes Schwarzwildmanagement
Inhalt dieses Projektteils sind Fragestellungen der Jagdpraxis und der Wildschäden in der Landwirtschaft. Ziel ist die Erarbeitung eines mit allen Interessensgruppen wie Jägerschaft, Landwirtschaft, Naturschutz, ForstBW, Bundesforst und Kommunen abgestimmten Schwarzwildmanagements im Projektgebiet.
Zunächst wurde hierfür die aktuelle Jagdpraxis erfasst und gemeinsam ggf. notwendige Verbesserungsmöglichkeiten mit allen Beteiligten erarbeitet. Über regelmäßige Arbeitstreffen und Befragungen wurde die Einschätzung der Konfliktsituation aufgrund der Schutzgebietsausweisung bzw. der jagdlichen Einschränkungen ermittelt. Zudem wurde ein Meldesystem der Schwarzwildschäden in der Landwirtschaft für Jäger und Landwirte aufgebaut, um ein möglichst aussagekräftiges Monitoring zu etablieren. Dies sollte Aufschluss darüber geben, ob im Umfeld der Kernzone im Laufe der drei Jahre mehr Wildschäden auftreten als außerhalb des Einflussbereichs der Kernzone, die auf die eingeschränkte Bejagung zurückgeführt werden können.
Auf Grundlage der Ergebnisse des wildbiologischen Projektteils und des moderierten Prozesses wurde mit allen Beteiligten ein Schwarzwildmanagementkonzept entwickelt.
Lesen Sie hier die Ergebnisse:
Schwarzwildmonitoring Ergebnisbericht Teil 1
Schwarzwildmonitoring Ergebnisbericht Teil 2
Die Allgemeinverfügung zur Ausübung der Jagd in den Kernzonen vom 15.03.2023 finden Sie unten stehend.