Es ist ein Sommernachmittag auf der Schwäbischen Alb. Es duftet nach Thymian und Dost. Ein intensiver Geruch, der aber schnell mit der nächsten Windböe über die Wacholderheiden davongetragen wird. Am Himmel über der Hügellandschaft kündigt sich der Sonnenaufgang an. Abgestützt auf seine Schäferschippe steht ein junger Mann auf einer Wiese und blickt auf die um ihn herum grasende Schafherde. Max Frankenhauser hat sich wie einige andere dazu entschlossen, hier als Schäfer zu arbeiten.
Sieben Geschichten aus dem Biosphärengebiet
Menschen aus dem Biosphärengebiet erzählen über ihre Arbeit, ihre Motivation und über ihren Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung
Wie wandernde Schafe die Kulturlandschaft retten
Schäfer, das klingt nach einem Beruf, in dem man gemeinsam mit vielen Tieren durch eine malerische Landschaft streift, jeden Tag eine atemberaubende Aussicht, viel Zeit für sich und Streicheleinheiten für die Tiere hat - fast wie Urlaub. Jedoch haben Max und seine Kolleginnen und Kollegen den in jeder Hinsicht herausfordernden Beruf als Wander- und Hüteschäfer gewählt – mit dem Ziel, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Und nicht nur das, die Wander- und Hüteschäferei hat in den letzten Jahrhunderten maßgeblich die Landschaft der Schwäbischen Alb geprägt. Ohne diese traditionelle, extensive Bewirtschaftung würden die besonderen Grünlandstandorte wie Wacholderheiden oder Kalkmagerrasen verbuschen und schließlich zu Wald werden.
So tragen die Schäferinnen und Schäfer wesentlich dazu bei, diese Kulturlandschaft zu erhalten. Diese Verantwortung zeigt sich auch in der Pflege der Herde: Max‘ Berufsalltag beginnt früh am Morgen und endet, wenn er schlafen geht. Dazwischen dreht sich alles um die Schafe. Ruhetage, Urlaub oder viel Zeit für sich sind in seinem Beruf selten. Wer so viel Zeit mit seinen Tieren verbringt, der erlebt gemeinsam mit ihnen eine breite Palette von Emotionen. „Während unserer Arbeit sind wir häufig unterschiedlichen Situationen ausgesetzt. Von Stress und höchster Aufmerksamkeit, wenn es z.B. über eine viel befahrene Straße geht bis hin zu Ruhe und dem reinen Genießen des Moments, wenn die Schafe gemütlich fressen und im Gras liegend wiederkäuen – innerhalb eines Tages ist da alles möglich“, so Max über seinen Job, während er schon wieder mit einem wachsamen Auge bei seinen Tieren ist.
Eine der größten Schwierigkeiten für Wanderschäferinnen und -schäfer ist es, in unvorhersehbaren Situationen richtig zu reagieren. Hier zählt vor allem die Erfahrung im Beruf: „Wir müssen täglich mit unserer Herde in einer Landschaft zurechtkommen, die anders als noch vor 60 Jahren heute dicht besiedelt ist und aus verschiedenen Interessen intensiv genutzt wird. Das stellt für mich eine ebenso große Herausforderung dar, wie die Unvorhersagbarkeit der natürlichen Faktoren, wie zum Beispiel das Wetter. Das beeinflusst ebenfalls das Wohlbefinden unserer Tiere und natürlich auch das Futterangebot - Menge wie Qualität.
„Über die Jahrhunderte haben die Schäferinnen und Schäfer immer wieder ihre Strategien weiterentwickelt, um mit verschiedenen, sich ständig verändernden Umweltbedingungen zurechtzukommen und die Herde gut zu führen und zu versorgen.“
Max Frankenhauser
Und das geht nun schon über 600 Jahre so. Denn seit dem 15. Jahrhundert gehören Wanderschäferinnen und -schäfer zum Landschaftsbild der Schwäbischen Alb. Sie kamen damals, um brachliegende Wiesen und Äcker zu nutzen und prägten so die vielfältige, einzigartige Kulturlandschaft aus Wachholderheiden, Hutewäldern mit den typischen Weidbuchen und einer im Offenland sehr spezifischen und artenreichen Vegetation.
Noch heute sind Wacholderheiden ein wesentlicher Bestandteil des Landschaftsbildes auf der Schwäbischen Alb. „Als Schäfer ist es unter anderem unsere Aufgabe, die Vielfalt und spezifischen Lebensräume in der Landschaft zu bewahren. Die Schafe sichern den Bestand der Artenvielfalt, zum Beispiel indem sie einzelne Samen und auch Insekten (Artentaxi) in ihrer Wolle herumtragen oder Samen durch den Dung einige Kilometer weiter verteilen. Die Wanderschaft der Schafe sorgt dadurch dafür, dass sich das Erbgut von gefährdeten Pflanzenarten weiterverbreitet. Aber auch durch den Erhalt der selten gewordenen Lebensräume tragen wir einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die dort lebenden Tiere und Pflanzen nicht aussterben.“, so Max über die Wichtigkeit seines Berufs.
Es ist schon spät. Das Geräusch von läutenden Glöckchen, Schmatzen und Schafslauten verbindet sich mit dem Zirpen der Grillen zu einem akustischen Konzert. Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen bevor die Sonne untergeht. Max treibt seine Schafe zusammen, bringt sie auf die Pferchfläche, einem eingezäunten Platz, in dem die Schafe die Nacht verbringen, und verabschiedet uns. Dann geht er nach Hause. Und morgen beginnt er sein Tagwerk wieder von neuem und jeder Tag gestaltet sich neu und anders - so vielfältig wie die Natur, die es zu bewahren gilt.
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erzählt von Menschen aus dem Biosphärengebiet